Florian Meister: Als Investmentbanker bewegt er 1.4 Milliarden Euro, als Almbauer 40 Kühe
Ich treffe Florian auf der Weitenbergalm in den Pfunderer Bergen in Südtirol, um mit ihm über sein Leben zwischen den Extremen zu sprechen. Wie ausgemacht, morgens vor 12 Uhr. Denn danach verwöhnt er seine Gäste mit selbst gemachten Käse, Südtiroler Spezialitäten und anderen Köstlichkeiten. Florian zeigt mir dir wunderschöne Alm und gibt mir Einblick in sein Leben. Wir setzen uns auf eine Wiese mit tollem

Ausblick auf die Berge. Seit 2004 lebt er von Juni bis September auf der Alm. Er hatte eine steile Kariere als Investmentbanker hinter sich, die er 2002 an den Nagel gehängt hat, weil er als Investmentbanker zu arbeiten, nicht mehr solide fand. Seit vielen Jahren ist er wieder als neben seiner Arbeit auf der Alm, wieder Investmentbanker tätig, jetzt allerdings im Bereich sozialer, nachhaltiger Entwicklungsfonds. Er ist Geschäftsführer von Finance in Motion.
Barbara: Florian, einen Investmentbanker wie dich, der seit langer Zeit finanziell ausgesorgt hat und in der ganzen Welt zu Hause ist, vermutet man nicht unbedingt auf einer Alm. Du könntest ein bequemeres Leben führen. Warum arbeitest du auch noch als Senner?
Florian Meister: Natürlich ist das Almleben ein Kontrast zu meinem Leben als Investmentbanker. Ich liebe diese Kontraste. Sie ziehen sich durch mein Leben. Ich fand es schon immer spannend mit Menschen, die ein anderes Leben führen, sich andere Fragen stellen, und eine andere Sichtweise haben, zusammen zu sein. Die meisten meiner Freunde sind nicht im Finanzsektor tätig. Warum ich Senner geworden bin? Die Berge waren mir immer besonders wichtig. Ich habe schon nach meinem Studium in den USA, einen Sommer lang auf dem Watzmannhaus, einer DAV Hütte, gearbeitet. Ich bin am Lago Maggiore, am Rande des Piemonts aufgewachsen. Wir guckten auf den zweitgrößten Berg der Alpen, den Monte Rosa. Ich mag, dass in den Bergen so vieles unbedeutend ist, was wir normalerweise für bedeutend halten. Die Größe und Schönheit der Natur offenbart sich, der Mensch mit seiner Arroganz wird klein. Hier herrschen andere Gesetze. Auf der Alm schärft sich meine Wahrnehmung für die kleinen Dinge. Ich nehme die Natur viel stärker wahr, das Wetter, das Licht, die Sonne je nach Stand, die Tiere, wie sie sich bewegen, wie es ihnen geht, die Blumen, wie sie blühen und den ersten Frost auf dem Gras. In den Städten können unsere Sinne nicht so offen sein. Wir sind ja ständig irgendwelchen Reizen ausgesetzt, müssen vieles herausfiltern, weil wir sonst überfordert wären. Ich genieße die Ruhe auf der Alm sehr und verspüre nie Langeweile. Manchmal habe ich die Zeit nach einem Buch zu greifen. Mir tut hier die Konzentration auf das Wesentliche gut, weniger statt mehr. An meiner Arbeit hier auf der Alm schätze ich besonders, dass wir unsere eigenen Produkte herstellen. Als Investmentbanker habe ich ja wenig mit realen Produkten zu tun. Geld ist abstrakt. Auf der Alm aber, machen wir unseren eigenen Käse, unsere Butter und verkaufen auch Milch und Joghurt. Es macht mich glücklich ein Produkt selbst herzustellen und zu verkaufen. Und wenn ich dann noch sehe, wie ein Wanderer oder Biker, das Essen bei uns genießt, erfüllt mich das mit Freude. Wenn ich von der Alm in meinen Frankfurter Alltag zurückkehre, bin ich viel ruhiger, als vorher. Auf der Alm, fällt mir das gar nicht auf. In Frankfurt sehe ich dann verwundert, wie meine Kollegen gestresst und hektisch agieren. Ein Bekannter, der als Selbstversorger auf dem Land lebt, kam mich einmal in Frankfurt besuchen. Er sagte zu mir ganz erstaunt: „In der Stadt schaut dich niemand an und redet mit dir.“ Ich antwortete: „Ach Gottfried, du bist ja auch barfuss rumgelaufen am Main. Jeder, der dich barfuss sieht, denkt, du bist ein Penner oder verrückt.“ So sind wir in der Stadt. Wir schützen uns durch einen starken Filter, der vieles aussortiert und nicht zulässt. In der Stadt kann man sich bei den Menschenmengen nicht so auf die Menschen einlassen, wie auf der Alm. Ich habe das auch selber gemerkt. Als ich von der Alm zurückkam, habe ich die Menschen in den ersten Tagen direkt angeguckt. Es hielt aber nicht lange an, bis ich wieder im alten Trott war und nicht mehr in ihre Gesichter schaute. Das ist schade, aber so ist das Leben in Millionenstädten. Es ist eigentlich nicht Menschen gerecht.
Barbara: Auch wenn so ein Almleben entspannt klingt, fällt ja viel Arbeit an. Du musst die Kühe und Schweine versorgen, die Milch zu Butter, Käse, Joghurt und Sahne verarbeiten und die Gäste bewirtschaften. Und du lebst und arbeitest du auf engstem Raum mit 4 Almhelferinnen zusammen. Sind da nicht Konflikte vorprogrammiert?
Florian Meister: Ja, es gibt hohes Konfliktpotential, weil unsere Arbeiten in einander greifen, wir voneinander abhängig sind. Besonders am Anfang der Almzeit, wenn es sehr viel Arbeit gibt, die Kühe noch genauso wenig mit der Umgebung vertraut sind, wie wir, die Milchmenge am größten ist und Arbeiten anfallen, die im Laufe des Sommers weniger werden, ist es nicht immer einfach.
Barbara: In der Schweiz gibt es ein Almnottelefon, dass Almbauern hilfreich zur Seite steht, wenn jemand im Streit das Team verlassen hat, die Milch dringend verarbeitet werden muss und schnell eine Arbeitshilfe gebraucht wird. Musstest du auch schon mal das Almnottelefon in Anspruch nehmen?
Florian Meister: Nein, Gott sei Dank nicht. Natürlich schaue ich vorher genau, ob jemand für das Almleben geeignet ist. Nur lässt sich das nicht immer im Voraus genau feststellen. Die meisten Macken und Schwierigkeiten zeigen sich erst nach Wochen. Jeder Mitarbeiter hier muss sich vorher bewusst sein, dass das Almleben sehr extrem ist. Du musst dich zurücknehmen und fünf gerade sein lassen können. Sonst funktioniert das nicht. Auch die Offenheit über Spannungen uneingeschränkt reden zu können, eine gewisse Fähigkeit zur Selbstkritik und Reflektion sind eine wichtige Vorraussetzung. Wir setzen uns einmal in der Woche zusammen, um über alles zu sprechen. Jeder erzählt, wie es ihm geht und über die nötigen Veränderungen der Arbeitsabläufe. Oftmals sind die Gespräche kurz, manchmal dauern sie aber Stunden. Es gab auch schon Tränen. Natürlich hat mich auch schon einmal der ein oder andere genervt. Aber wir haben überwiegend eine wundervolle gemeinsame Zeit und vor allem viel Spaß miteinander.
Barbara: Wenn wir mal zurück auf dein Leben schauen. Schon mit 21 Jahren hattest du dein Bachelorstudium in den USA beendet. Mit 26 begann deine sehr steile Karriere. Wolltest du schon immer Investmentbanker werden oder hat sich das ergeben?
Florian Meister: Als ich Investmentbanker wurde, wusste fast niemand, was das ist. Das war wie vieles in meinem Leben „Fügung“. Ich hatte anfangs ein halbes Jahr in einem Münchener Nobelhotel in München an der Rezeption gearbeitet. Es machte mir Spaß den Gästen die Schlüssel zu reichen und den Checkin für sie zu machen. Ich habe dort viele wohlhabende Leute bedient, bekam selbst aber nur etwas mehr als 1000 Mark brutto. Das motivierte mich, selbst auch mehr verdienen zu wollen. Mir war klar, dass das in dem Rahmen nicht ging. Denn selbst meine Chefs, verdienten nicht viel, obwohl sie sehr viel gearbeitet haben. Ich bin dann zu einem großen amerikanischen Markenartikelhersteller in Frankfurt gegangen. Nach eineinhalb Jahren merkte ich, dass ich trotz meines Studiums wenig über die Finanzwelt wusste. Ich wollte im Kerngeschäft arbeiten, dort wo wirklich Geld verdient und Gewinn oder Verlust realisiert wird. Außerdem wollte ich auch mehr von der Welt sehen. Deswegen bin ich nach London in eine Beratungsgesellschaft gegangen, die sich auf die Vor- und Nachbereitung von Fusionen, konzentriert hat. Sie waren zwar beratend tätig, aber schon Investmentbank nah. In London habe ich aber erst recht gemerkt, dass ich viel zu wenig Ahnung habe und habe mich für das MBA-Studium in Frankreich angemeldet. Das war Ende der Achtziger, als der Jobmarkt für deutschsprachige Investmentbanker boomte. Die ganze Welt dachte, dass nach dem Mauerfall in Deutschland verbunden mit dem Aufbau Ost dort wirtschaftlich gesehen die Post abgehen würde. Wegen der Aussicht der Konzerne sich neue Märkte in Deutschland erschließen zu können, umwarben sie besonders die deutschen MBA Studenten und zwar lange bevor wir unseren Abschluss an der Uni außerhalb von Paris, überhaupt in der Hand hielten. Eine Investmentbank, die gerade in New York neu angefangen hatte und bekannt dafür war die besten Ideen und Kontakte zu haben, war sehr an mir interessiert. Sie hatte gleich eine riesige Investition von einem japanischen Bankenkonzern bekommen, nur damit sie 20 Prozent an dem neu gegründeten Unternehmen hielten. Diese Firma interessierte mich besonders, weil sie so neu war und so schnell gewachsen ist. Ich arbeitete gerne in neuen Unternehmen, die flexibel sind und in denen ich viel bewegen konnte.
Barbara: Was hat dich denn dann letztendlich zu einem so erfolgreichen Investmentbanker gemacht?
Florian Meister: Ich brachte eine gewisse Ungeduld mit, eine Neugierde, ein Riecher dafür, wo ich meine Fähigkeiten gut einsetzen und nutzen kann. Ich wusste, dass ich sie im Investmentbanking am Besten entfalten kann. Es hat mich auch fasziniert viel zu reisen, im Flieger vorne und in erlesenen Flughafen Lounges zu sitzen, dass Autos überall auf mich warteten und besonders, dass der Job sehr, sehr gut bezahlt war. Mich motivierte auch, dass wenn ich ein paar Jahre voll reinklotze, finanziell unabhängig sein würde, so viel Geld hätte, um nur noch das zu tun, was mir gefällt. Die Möglichkeit dieser finanziellen Freiheit war ein enorm starker Motor. Außerdem hat die Branche mir sehr imponiert, weil sie an der Schaltstelle der Macht sitzt und viel bewegen kann. So war es zumindest anfangs. Nach einigen Arbeitsstellen, zu denen mich große, etablierte Investmentbanken abgeworben hatten, hatte ich dann viel Spaß in einer Bank, die ich in Deutschland 1999 eröffnet habe. Sie war sehr angesehen und mischte den Markt mit anderen Sichtweisen auf. Es herrschte eine unternehmerische, junge, engagierte und offene Atmosphäre. Das war die Zeit, in der große feindliche Übernahmekämpfe ausgefochten wurden, wie VodaFone kauft Mannesmann. Hier waren wir auch beteiligt. Die gute Zeit, die ich dort hatte, ging zu Ende, als ein französischer passiver Mehrheitsaktionär seine Aktienmehrheit an meiner Bank zu einem sehr hohen Preis, verkauft hat. Ich habe daran sehr, sehr gut mitverdient, weil ich Optionen auf Aktien hatte. Das Timing war ideal. Denn kurz darauf, war die Internetblase geplatzt. Obwohl ich und mein Team beim Übernehmer der Aktienmehrheit mit offenen Armen empfangen wurden, wollten wir lieber wieder in einem Startup viel bewegen. Es gab trotz der Marktturbulenzen noch einen heißen Markt für die Teams, die im Investmentbanking etwas konnten. Wir gingen dann zu Lehman. Ich hatte ein sehr gutes und faires Angebot. Ich konnte mein ganzes Team mitnehmen, sogar die 55jährige Rezeptionistin, die ich bei einem früheren Arbeitgeber abgeworben hatte, die mir ans Herz gewachsen war und für die ich mich verantwortlich fühlte. Dafür war ich sehr dankbar. Doch die Firmenkultur dort hat mir nicht gefallen. Es arbeiteten dort hauptsächlich Ja Sager. Warnsignale über gewisse Aktivitäten auch im deutschen Raum, auf die ich sie hinwies, wurden nicht gerne gehört. Es ging um große Beteiligungen Lehmans im Medienbereich. Ich sagte: „Mir ist das nicht geheuer. Mir kommt das nicht lauter vor. Die Geschäfte in die wir einsteigen, sind nicht selbsterklärend.“ Aber ich wurde vollkommen außen vorgelassen, obwohl ich ein Chef des deutschen Investmentbankings von Lehmann war. Wie es mit Lehmann am Ende ausging, wissen wir ja alle. Zu dem Zeitpunkt war ich aber bereits 7 Jahre zuvor ausgestiegen.
Barbara: Du hast ja im Laufe der Zeit, als du immer mehr Mitarbeiter einstelltest, sie unterhalten und hohe Gewinne erzielen musstet, plötzlich alles in Frage gestellt. Warum?
Florian Meister: Ich stellte mir immer wieder die Frage, ob das was ich tun muss, um wieder einen Kunden zu angeln oder ein Mandat bezahlt zu bekommen, wirklich so sinnvoll ist. Ich merkte, dass mir das, was von mir erwartete wurde, nicht mehr entsprach. Bei Wachstumserwartungen von Geschäften, die wir entweder über die Börse vermarkten sollten oder Kunden auf der Verkaufsseite berieten, dachte ich mir oft: „Das ist ja sehr mutig.“ Ich fragte mich auch, ob das wohl alles so gut geht, überhaupt so weiter geht in den nächsten 5 Jahren und ob unsere Bewertung, die wir vornehmen überhaupt Bestand hat. Viele Unternehmen, die wir an die Börse brachten, gab es fünf Jahre später schon nicht mehr. Ich stellte auch den Sinn der Produkte, die wir pushten in Frage und fragte mich, ob das alles noch wirklich sinnvoll für die Menschheit ist. Wir näherten uns damals auch der Bubble Ende der Neunziger, als Wachstum, über alles stand. Ein Freund von mir hat ein Handyvertriebsunternehmen gekauft und wollte es dann über die Börse verkaufen oder an einen strategischen Interessenten. Er zeigte mir daraufhin zwei Bewertungen von Konkurrenten von mir mit dem Angebot, im Projekt mitzumachen. Ich sagte ihm: „Nimm eins von den beiden, aber lass mich außen vor. Ich selbst, sehe nämlich nicht einmal die Hälfte des Wertes.“ Der Preis und die Verkaufserwartungen waren völlig überzogen. Für meinen Freund war es ein sehr gutes Geschäft. Nur für die Anleger nicht, wie es ich im Gefühl hatte. Die Firma ist später den Bach runter gegangen. Heute gibt es das Unternehmen nicht mehr. Ich habe ständiges Wachstum schon immer angezweifelt. Im Finanzkurs im MBA Studium war ich diesbezüglich der Einzige von siebzig Studenten. Ich habe ziemlich penetrant die Lehrer gefragt, warum Aktien immer mehr Rendite bringen sollen, als Festverzinste Anlagen. Ich wollte das nicht kapieren. Ich glaube heute schon, dass Aktien richtig gepreist, eine höhere Rendite abwerfen, als Anleihen. Aber eine grundlegende Skepsis, was die Nachhaltigkeit von Unternehmensbeteiligungen, wie Aktien betrifft blieb immer. Im Investmentbanking kannst du dir meine Einstellung nicht leisten. Du musst glauben, dass die Welt immer nur wächst, dass Aktien immer nach oben gehen. Skepsis, wie ich sie habe, ist in der Investmentbranche nicht angesagt.
Barbara: Warum bist du dann letztendlich ausgestiegen?
Florian Meister: Diese Skepsis hat in mir immer weiter gebrütet. Die Spannung zwischen dem, wie ich gegenüber Kunden auftreten sollte, was ich ihnen hätte verkaufen sollen und was ich für richtig und vertretbar hielt, wurde zu groß. Irgendwann konnte ich meine Arbeit nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren. An sich wird im Investmentbanking eine Entscheidung von vielen getragen. Das ist professionell. Du kommst nicht in die Notlage, dass du allein abzeichnen musst, ob 59 für eine Aktie vertretbar ist. Besonders in diesen Besprechungen merkte ich, dass ich anders war und dachte, als die anderen. In der Abwägung von drei oder vier Meinungen, was ein Unternehmen in vier Jahren für ein Gewinn erzielen würde, befand ich mich meistens am unteren Ende. Es reifte in mir der Zweifel an dieser auf ständigem Wachstum getrimmten Welt. Im Investmentbanking hast du als jemand der warnt, keine Chance. Wenn man einen Hedgefonds managt, mag das gehen. Aber wenn du Vorstände von großen Kapitalgesellschaften berätst, möchten sie nicht hören: „Lieber Vorstand, sie haben viel Geld und wollen ein neues Geschäftsbein aufbauen, aber warten sie lieber noch fünf Jahre. Im Moment zahlen sie zu viel dafür.“ Denn sie wollen meist sofort handeln, sofort Erfolge melden. Wenn du zu solide bist, kommst du als Investmentbanker nicht zu kurzfristigen Geschäften. Die Investmentbanken schauen aber nur kurzfristig. Alle paar Monate wurde überprüft, ob ich ein neues Mandat habe, ob ich meinen Bonus wert bin, hinzukamen die ständigen Auswertungen meiner Leistung. Da konnte ich nicht sagen, ich habe viel Goodwill bei Kunden aufgebaut, aber verkauft habe ich nichts. Ich spürte dann, dass die Zeit reif ist wegzugehen. Ich war nah am Burn out. Meine Batterie war leer. Die Arbeit war extrem hart und machte mir keinen Spaß mehr.
Barbara: Du hast ja besonders am Anfang oft bis 22 Uhr gearbeitet, meist auch am Wochenende, bist viel gereist, kamst spät nach Hause und bist morgens früh wieder um sechs raus. Hat diese Überarbeitung auch dafür gesorgt, dass deine Batterie leer war?
Florian Meister: Viel zu arbeiten war weniger das Problem, das gibt es auch in anderen Branchen. Hier auf der Alm ist das nicht anders. Auch die Bauern hier sind schon um sechs lange wach und arbeiten bis abends spät. Belastend war der große Leistungsdruck. Ich war hochdotiert, verdiente viel Geld, musste ein Team unterhalten und dafür die Geschäfte anschleppen. Ich hatte sehr hohe Ziele zu erfüllen, in einem Markt mit brillanten Mitwettbewerbern, gegen die ich die Geschäfte machen musste. Wenn wir einen wichtigen Deal nicht bekommen haben, war es Usus, eine Sitzung einzuberufen, in der wir uns intensiv gefragt haben, warum dieses Geschäft an uns vorbei gegangen ist. Das ist wie, wenn ein Autohändler, der sich bei jedem Kunden, der rausgeht fragen würde, warum hat er das Auto nicht bei uns gekauft. Es ging immer um große Mandate, wie eine Privatisierung oder einen Börsengang, die in Deutschland nur ein dutzend Mal im Jahr vergeben werden. Das war ein unglaublicher Druck. Ich habe Gott sei Dank nie meinen Lebensstandard erhöht, meine laufenden Kosten hochgeschraubt. Denn das hätte den Druck noch mehr erhöht. Ich habe mir nicht wie meine Kollegen eine Yacht, mit einem Liegeplatz, der jeden Monat allein 2000 Euro kostet, zwei Ferienhäuser, drei Autos, angeschafft. Ich blieb immer sehr bodenständig. Am Ende wollte ich auch zu keiner anderen Bank mehr wechseln, nicht mehr etwas machen, an das ich nicht mehr glaubte. Die materielle Notwendigkeit, Kompromisse einzugehen, hatte ich ja schon lange nicht mehr. Meine wichtigste Motivation im Leben war außerdem nie das Geld, sondern viel zu lernen, zu sehen und zu erfahren. Vor allem war mir Freiheit immer wichtiger. Ich fühlte mich in diesem Arbeitsfeld nicht mehr frei. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit und ob ich mich verbiege, oder das tue, was mir entspricht, ließ alles andere in den Hintergrund treten. Ich wollte mich mit ehrlichen Menschen umgeben, mit Menschen, die ich wirklich schätze und meinen Kalender nur noch mit Freiheit füllen.
Barbara: Du bist ja dann auf Weltreise gegangen. Was hast du gemacht und wo warst du?
Florian Meister: Ich bin zunächst viel allein, zum Teil auch mit Freunden und mit meinem Lebenspartner herumgereist. Ich war viel in den Bergen unterwegs, in Patagonien, habe die Transalp von Norden nach Süden und Süden nach Norden gemacht. Meine Reisen waren sehr Sport und Naturbezogen.
Barbara: Seit vielen Jahren bist du, außer wenn du von Juni bis September auf der Alm bist, wieder als Investmentbanker tätig. Wieso bist du wieder ins Investmentbanking zurück?
Florian Meister: Eines Tages fragte mich ein Freund, der im Entwicklungsfondsbereich sehr erfolgreich und bekannt ist, um meinen Rat. In diesem Zuge habe mich dann erstmals mit Entwicklungsfonds beschäftigt, erst beratend und dann als einer der Geschäftsführer. Vor drei Jahren ergab sich dann die Möglichkeit, eine eigene Firma zu gründen. Jetzt haben wir eine schöne florierende Firma, die sich in dieser Nische spezialisiert hat mit circa 100 Mitarbeitern. Wir setzen Entwicklungsfonds auf, zum Beispiel einen, der über Kredite an ausgewählte Banken, zum Teil Mikrofinanzinstitute und kleine Institutionen, Wachstum in den kleinen und mittleren Unternehmen fördern. Die Fonds helfen u.a. auch Ländern, die sehr instabil sind, dringend Unterstützung brauchen, nicht von den großen Agenturen geratet sind und in die sich niemand zu investieren traut, man Angst vor ihnen hat, weil die Regierungen, schnell wechseln, bestechlich und schlecht einzuschätzen sind. Normalerweise gehen in solche Länder keine Investoren rein. Wir können mit unseren Fonds in diesen Ländern nützliche und dringend nötige Projekte unterstützen. Wenn zum Beispiel ein Gemüsebauer auf diesem Wege ein Kühlhaus bekommt, kann er vielleicht die Ernte, die er sonst schnell zu einem niedrigen Preis an einen Händler loswerden muss, selbst auf einem nahegelegenen Markt über längere Zeit verkaufen. Er bekommt einen Mikrokredit und muss nicht irgendeinem Kredithai Unsummen zahlen. Der große Mikrofinanzfond, den wir als erstes, also ein historisches Mandat, in unserer neuen Firma aufgenommen haben, legt ganz klar in seinen Kreditverträgen fest, dass keine Kredite über eine Hoechstgrenze von 5000 Euro vergeben werden dürfen, obwohl er 800 Millionen groß ist, damit ausschließlich kleine Unternehmer profitieren können. Dort kann das Kapital aus den westlichen Ländern gute Projekte unterstützen, die den Menschen dort wirklich, dienen und auch hier, bei uns, Rendite für die Anleger bringen. Ein anderer Schwerpunkt sind erneuerbare Energien. So bauen wir auch gerade einen neuen Fond für erneuerbare Energien in Südosteuropa auf. Wir beginnen jetzt auch mit eigenen Forschungsaktivitäten, um frühzeitig neue soziale Themen aufzugreifen, sodass wir selbst Ideen an mögliche Sponsoren wie die EU oder an Entwicklungsministerien herantragen können. Geld setzen wir mit dem Ziel ein soziale und politische Veränderungen zu bewirken. Wir haben lokale Büros in den Ländern und lassen uns bei den Banken die Kreditkarteien stichpunktartig zur Kontrolle vorlegen, zusätzlich zu anderen Kontrollen wie einer eigenen Software, in die sie quartalsweise Endkredite berichten und allgemeine Quartalsinfos über die Institution. Es macht mir Spaß Kapital, dass bei uns im Überfluss herumliegt, dorthin zu leiten, wo es sinnvoll und hilfreich eingesetzt werden kann und wodurch auch Arbeitsplätze entstehen können.
Barbara: Wie erlebst du diese finanzielle Freiheit nicht mehr arbeiten und deinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen?
Florian Meister: Finanzielle Freiheit ist auch verhext. Du hast die Möglichkeit von einem auf den nächsten Tag nicht mehr zu arbeiten, oder dich in den Flieger zu setzen und um die Welt zu fliegen. Mit dem Ersparten, können aber auch Sorgen kommen, wenn du nicht wachsam bist. Ich weiß von Menschen, die darüber einen Nervenzusammenbruch bekommen und das obwohl sie so reich sind. Ich kenne aber auch Bauern, die einen halben Nervenzusammenbruch kriegen, weil sie mit den Kühen nicht mehr klarkommen. Letztendlich ist alles eine Frage der Einstellung. Finanzielle Freiheit ist ein guter Baustein, aber kein Garant, sie wirklich genießen zu können und sich auch innerlich frei zu fühlen. Man kann sich auch mit dieser finanziellen Freiheit aufreiben und genauso stressen wie vorher. Sie ist jedenfalls kein Allheilmittel. Auch dann ist es wichtig sich zu zügeln und sich des materiellen Wohlstandes nicht zu sicher sein. Denn sicher ist nichts. Ich kann auch morgen aufwachen und bin wieder bei Null. Mir war es immer wichtig meine Fähigkeiten zu erweitern, dass ich, wenn ich hinfalle, wieder aufstehen kann.
Barbara: Selbst auf der Alm scheint mir, legt sich dein unternehmerisches Denken, dein Sinn für Optimierung nicht schlafen. Fällt es dir schwer, Fünfe gerade sein zu lassen?
Florian Meister: Ich liebe es die Dinge einen Tick schneller zu machen, als gestern. Es freut mich, wenn ich einen neuen Trick gefunden habe, um die Butter effektiver herzustellen. Ich freue mich, wenn ich Dinge optimieren kann. Das Optimieren ist schon ein starker Antrieb in mir. Meine langjährigen Almkollegen sagen dann manchmal: „Florian, lass es doch mal gut sein.“ Für mich ist es schwierig mich dem unternehmerischen Denken zu entziehen. Es macht mir Spaß und ist in mir angelegt. Seit ich älter bin, werde ich gelassener. Ich nimm mehr Anteil an anderen, frage mich, ob das was ich tue, anderen wirklich hilft. Ich habe viel Geld angehäuft und werde das nicht alles verbrauchen. Auch der Optimierungswahn legt sich. Ich werde reifer, mache gerne anderen eine Freude. Immer nur das Optimale aus allem herauszuholen, verliert für mich immer mehr an Bedeutung. Der Optimierungswahn wirft auch die Frage auf, wozu? Ist es Optimierung zum Selbstzweck oder um mir eine größere Freiheit, mehr Freizeit, mehr Wahlmöglichkeiten zu eröffnen. Früher ging das bei mir manchmal so weit, dass es zum Zwang wurde, auch noch die Freizeit zu optimieren. In dem Moment, wo es keine Steigerung mehr gab, fühlte ich eine Leere. Ich glaube, wir sollten weniger auf den Zugewinn, auf die Steigerung schauen, als den Moment genießen und zufrieden zu sein. Das Zusammen sein mit den Menschen, die mir wichtig sind, zu genießen und nicht immer etwas bezwecken oder auf etwas hinarbeiten, ist für mich wichtiger geworden. Immer mehr Menschen werden dem Wahn des Wachstums, des Optimieren müssen, durch diese Kicks Glück zu erfahren, nicht mehr nachkommen können und neue Wertigkeiten für ihr Glück finden müssen. Ich habe zwar diese Flugbahn von immer mehr Geld, mehr Spaß, mehr Verantwortung, mehr Wachstum, verlassen, befinde mich aber immer noch in einer Lernphase.
Barbara: Du hattest einen Unfall. Bei einer Skitour im Abstieg zum Skidepot riss die Quadrizepssehne und nach der Operation und ersten Genesung riss sie ein zweites Mal. Du konntest dich sechs Monate kaum bewegen. Das muss ja für einen so aktiven Menschen und Macher, wie du, eine ganz schöne Herausforderung gewesen sein, so still gelegt zu werden.
Florian Meister: Das war ein Weckruf, eine Warnung, die mir zeigte, dass das Leben nicht nur Wachstum der Fähigkeiten und Freiheiten vorsieht, sondern es auch nötig ist mit Reduktion, mit begrenzten Ressourcen und verminderten Fähigkeiten umzugehen. Es stand mehrfach in Frage, ob ich mit meinem linken Bein überhaupt noch laufen kann. Damit umzugehen, war eine Herausforderung, ein Lernprozess. Als ich zwischen den beiden Sehnenrissen, ein paar Tage lang wieder Rad fahren konnte, pfiff ich vor mich hin. Es war ein Glücksgefühl mich wieder in der Natur bewegen zu können. Für mich war das nicht mehr selbstverständlich. Ich nahm es viel intensiver wahr. Auf dem Rad zu sitzen ist ja eigentlich das Normalste der Welt, aber für mich war es besonders. Wenn etwas nicht mehr so geht, wird man dankbarer und sieht es mit anderen Augen.
Barbara: Unser ganzes Wirtschaftssystem ist auf stetigem Wachstum aufgebaut, obwohl das nicht möglich und auch nicht aus der Erde herauszuholen ist. Mit begrenzten Gütern und Ressourcen, auch mit Reduktion umzugehen, sind wir nicht gewöhnt. Hast du eine Idee, wie wir das lösen können?
Florian Meister: Wir leben seit Jahrzehnten in der Illusion eines ständigen Aufwärtstrends. Wir sind durch und durch von dem Aufwärts geprägt. Aufwärts mit dem Lebensstandard, mit dem Gehalt. Es reicht uns nie. Wir wollen mehr Freizeit, mehr Erleichterungen. Alles soll immer mehr, immer besser werden. Langfristig ist ein Wertewandel von Nöten, der nicht mehr auf Wachstum abgestellt ist, sondern auf Nachhaltigkeit, der mehr auf den lokalen Austausch von Handel und auf Dienstleistungen und kontrollierte Finanzmärkte setzt. Die Perversion, die wir heut zutage in den Finanzmärkten sehen, ist unter anderem möglich, weil die Kapitalmärkte sich global aufgestellt haben, die Anonymität der Handelnden extrem groß ist und ihnen keine Grenze gesetzt sind. Es wäre aber sehr wichtig ihnen Grenzen zu setzen. Die Belohnung, die angesichts der immensen anzulegenden Geldsummen für eine neue Idee abgesahnt werden kann, ist so groß, dass skrupellose Menschen immer nach Mitteln suchen, Schabernack zu treiben. Eine starke Regulierung ist hier dringend nötig. Ich glaube, dass der globalisierte Kapitalismus einen stärkeren Staat und dementsprechende Regeln und engere Gesetze auch für die Banken braucht. Ich glaube, dass die Trennung von kommerziellen Bankaktivitäten und Investmentbankaktivitäten sinnvoll ist, dass starke Regulatoren den Mehrwert oder die Klarheit von neuen Produkten hinterfragen sollte. Und ich denke, dass es gut wäre Transaktionssteuern an den Märkten einzuführen, um etwas Reibung in den schnellen Handel zu bringen. Schneller Handel und schnelle Aufwertungen von Vermögenswerten führen zu falsch eingeschätzten Risiken und am Ende oft zu Notlagen. Wichtige Marktteilnehmer kommen in Bedrängnis und der Staat und damit die Allgemeinheit muss eintreten. Außerdem sind Transaktionssteuern auch sinnvoll, um finanzielle Reserven für nötige Rettungsaktionen einzubauen.
Barbara: Glaubst du, dass die Menschheit sich auf Dauer von stetigem Wachstum verabschieden muss?
Florian Meister: Unsere ganze Gesellschaft ist mehr oder weniger dem Konsum verfallen. Wir sind dementsprechend sozialisiert worden und haben verlernt auf Wesentliches zu hören, das nicht so laut, wie manche Werbung ist. Ich hatte nie ein Bedürfnis nach übermäßigem Luxus und Konsum. In einer auf Wachstum getrimmten Welt, freut man sich nicht mehr über sich selbst und seine Mitmenschen, sondern sucht Freude und Glück in materiellen Dingen. Je mehr man sich von sich entfernt und sich für das Geld verkauft, bezieht man seinen Wert und sein Glück aus dem Geld und aus Konsumartikeln. Aber das geht nicht lange gut. Es gibt so viele Werte, die nicht mit materiellem Wachstum verbunden sind und trotzdem glücklich machen. Die gleiche Menge Produkt kann mehr Spaß machen, wenn es im lokalen Austausch geschieht und mehr Wertschätzung bekommt, wie bei uns auf der Alm, wenn jemand unseren Käse schätzt. Wir müssen nicht nur persönlich, sondern auch gesellschaftlich eine neue Wertigkeit entdecken, die kleinen einfachen Dinge mehr schätzen. Nichts ist selbstverständlich gegeben. Vielleicht zählen irgendwann wieder mehr andere Werte, die uns bereichern, wie eine Familie, auf die man sich verlassen kann, gute Nachbarschaft und sozial eingebunden zu sein.
Barbara: Danke Florian.
Gerne, Barbara.